NEWSWeinanbau auf dem Dach der Welt

Weinanbau auf dem Dach der Welt

Tibetanische Rentner verwirklichen ihren Weintraum und setzten damit die Tradition des Weinbaus mit Trauben, einst gegründet von katholischen Missionaren, fort. Anders als viele Tibeter, die sich nach ihrer Pensionierung religiösen Aktivitäten widmen oder Hobbys nachgehen, haben Hua und Lu Sheng stattdessen Mitte der letzten Dekade (2015) beschlossen, einen Weinberg anzulegen. Damit wurden sie zu Wegbereitern des zaghaft entstehenden modernen Weinbaus und Weinherstellung in Tibet. Mittlerweile unterrichten sie andere Bauern und schaffen so mit Unterstützung der regionalen Behörden Arbeitsplätze und Einkommen für die ärmere Bevölkerung.


TIBET (Tsalna/Nam/Lhasa) – Als der Ruhestand nahte, zogen Hua und Lu Sheng, ein tibetisches Ehepaar katholischen Glaubens, aus der Region Markam im Südosten Tibets, nah an der Grenze zu den Provinzen Sichuan und Yunnan im Südwesten Chinas, nach Lhasa. Tsakhalo, die einstige Heimatstadt des Paars, war eine der ersten und letzten tibetischen Stationen auf der Chama Gudao, der alten Tee-Karawanenstraße, einem Netz aus Handelsstraßen, die Sichuan, Yunnan und Guizhou mit der Region Bengalen in Indien verband. Obwohl ihr neu gewähltes Domizil Lhasa, Hauptstadt der autonomen Region Tibet, rund 3.600 Meter über dem Meeresspiegel liegt und als ungeeignet für den Weinbau galt, begannen beide 2015 ein ehrgeiziges Projekt: Sie kultivierten Flächen und pflanzten Weinreben in Tsalna, einer Gemeinde am Rande von Lhasa.

Ihre Kenntnisse im Weinbau waren zu Beginn ihres Weinprojektes mehr als ausreichend, nur der Anbau in der hoch gelegenen Region war eher ein Risiko. Lu Sheng lernte den Weinanbau und die Weinherstellung von ihrer Großtante, einer katholischen Nonne, die den Weinbau mit Trauben in der Familie pflegte. Die Großtante wie auch Hua und Lu Sheng gehören der katholischen Minderheit an – vorherrschend in Tibet ist der Buddhismus und die Bön-Religion. Lus Ehemann Hua ließ sich bereits längst vor seiner Pensionierung vom Weinbau begeistern und lernte so neben seinem Job den Umgang mit den Reben im Weinberg und in der Vinifizierung der Weine. Für ihr Vorhaben bezog das Winzerpaar die lokale Regierung mit ein, die das Projekt als Initiative zur Armutsbekämpfung der Landbevölkerung als neu aufgelegtes Programm von Beginn an unterstützte.

Das Lhasa-Weinprojekt

„Die Lhasa-Region ist ein idealer Ort für die Anpflanzung französischer Rebsorten, die gegen Kälte, Trockenheit und Krankheiten resistent sind und sich an die Höhenlage anpassen können“, konstatiert Lu. „Dank der Sonneneinstrahlung auf der Hochebene und des ökologischen Anbaus reifen unsere Trauben hier in Lhasa sehr gut. Sie zeigen ein ausgewogenes Spiel von Säure und Süße sowie einen hohen Anthocyangehalt“, sagt Lu. Anthocyane sind wasserlösliche Pigmente, die sich in den Traubenzellen anreichern und dem Wein eine kräftige Farbe verleihen.

Nach drei weiteren Jahren der Erfahrung hatte das Winzerpaar in 2018 bereits fast sieben Hektar an Rebflächen kultiviert und im Anbau. Parallel unterrichteten sie interessierte Bauern in der Arbeit im Weinberg und in der Weinherstellung. „Die Unterstützung durch die Regierung ist ein großer Vorteil für unser Projekt, aber die Mithilfe der Dorfbewohner und interessierten Bauern der Gegend bringt uns und das Lhasa-Weinprojekt voran. Ohne diese Hilfe hätten wir uns sehr schwer getan“, berichtet Hua.

Weinbau auf Basis der Tradition der katholischen Minderheit in Tibet

Hua arbeitete früher für Tibet Tianlu Co. Ltd, eine chinesische Firma für Straßen- und Brückenbau spezialisiert für Projekte in Tibet, seine Frau Lu war Postangestellte. Beide sind katholischen Glaubens und praktizieren diesen auch. Mitte des 18. Jahrhunderts brachten katholische Nonnen und Priester sowohl ihre Religion als auch den Weinanbau und die Weinherstellung in das Hochland Tibet, das als „Dach der Welt“ bekannt ist. Darauf beruht heute die Tradition, hier Wein zu produzieren. Die Kenntnisse dazu wurden innerhalb der katholischen Minderheit in Tibet von Generation zu Generation weitergegeben.

Da Rotwein in der christlichen Theologie für das Blut Jesu steht, sehnen sich viele Katholiken danach, ihren eigenen Wein zu produzieren. Während in Tibet meist weinähnliche Getränke aus Gerste hergestellt werden, konzentriert sich das Winzerpaar Sheng auf die eigene Produktion und auf die Lehre, Wein aus Trauben zu produzieren. Einige machen es ihnen bereits nach und so kann sich langsam eine moderne, wie in Europa vorherrschende, Weinproduktion in Tibet entwickeln.

Weinbau verbessert den Lebensstandard

Rund 1,8 Millionen Yuan (rund 250.000 Euro) zahlte die von Hua und Lu gegründete Genossenschaft in den letzten drei Jahren an die Dorfbewohner von Tsalna und Nam für Landpacht und Arbeit. Währenddessen stieg die Produktion von zwei Tonnen Traubenmaterial im Jahr 2018 auf fünf Tonnen in 2021. Sicher eine bescheidene Ausbeute, aber in Anbetracht des Projektes eine erfreuliche Entwicklung für die ländliche Region. „Wir haben den Bauern vor Ort in den drei Jahren erfolgreich beigebracht, wie man Trauben anbaut und Wein herstellt. Sie haben jetzt eine neue Einkommensquelle neben der traditionellen Landwirtschaft und Viehzucht“, freut sich Hua.

Beim 19. Nationalkongress in 2017 hat die kommunistische Partei Chinas die Kampagne zur Vitalisierung des ländlichen Raums in der autonomen Region Tibet proklamiert. „Die Bewohner haben das Weinprojekt als neue Einnahmequelle angenommen. Jetzt beherrschen die Bauern die dazu nötigen Fertigkeiten und profitieren von Arbeit und Verpachtung. Damit verbessert sich deren Lebensstandard“, verkündet die Präfektur in Lhasa. „Unsere Helfer und auch die Bauern, die nun nebenbei Traubenwein herstellen, trinken nach wie vor Gerstenwein, aber der Traubenwein schmeckt ihnen besser und ist auch gesünder“, resümiert Hua.

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