Zu Besuch im polnischen Weingut Jaworek vor den Toren Wroclaws. „Am Mute hängt der Erfolg“, gab Theodor Fontane der Nachwelt mit auf den Weg. Fast könnte man meinen, er hätte, als er das sagte, schon einmal einen Blick in eine Zeit geworfen, die er selbst nicht mehr miterlebte und wäre auf seinen Wanderungen mal kurz auf Abwegen gewesen, um jenseits der Brandenburger Grenzen im heutigen Polen bei Eva und Lech Jaworek vorbeizuschauen.
POLEN (Miekinia) – Mut hatten Eva und Lech Jaworek, als sie sich 2001 entschlossen, in der knapp 16 000 Einwohner zählenden Gemeinde Miękinia (früher Nimkau) rund 27 Kilometer von Wroclaw (Breslau) entfernt, das erste professionelle Weingut Polens zu gründen. Ein Experiment mit ungewissem Ausgang. Aber ihr Mut wurde belohnt: Bereits acht Jahre später gehörten sie zu den ersten, die ihren Wein offiziell in Polen verkaufen durften. 2012 erhielten sie das Zertifikat des Europäischen Netzwerkes für regionales kulinarisches Erbe der Europäischen Union, und seit 2015 ist das Weingut Jaworek auch im Gault & Millau Polska gelistet.
Von so einem (schnellen) Erfolg haben Eva und Lech Jaworek, die sich mit dem Weingut einen Lebenstraum erfüllten, nicht einmal zu träumen gewagt, als sie 2001 die ersten Reben in den Boden 500 m ü. NN. pflanzten. Der ist alles andere als einfach – Lehm, Kies und Sand, an vielen Stellen alles bunt gemischt. Auch das Klima ist in Polen nicht ganz ohne – es gibt starke Temperaturschwankungen im Tages- und Jahresverlauf, Frost und Hagel bergen ein Risiko während des Winters, aber auch im Frühjahr. Wegen des kühlen Klimas haben die Trauben – verglichen mit jenen aus Südeuropa – einen geringen Zucker- und höheren Säuregehalt.
Um für diese Bedingungen die passenden Rebsorten herauszufinden, experimentierten die Weinbauern auf den rund 12,5 Hektar (heute 15 Hektar) rund um Miękinia und weiteren 3,5 Hektar nahe dem niederschlesischen Dorf Winsk (Winzig) mit zahlreichen Sorten nach dem Prinzip „Versuch und Irrtum“. 30 verschiedene Rebsorten wurden in die Erde gepflanzt und genau beobachtet. Am Ende blieben 15 übrig, darunter Riesling, Gewürztraminer, Auxerois, Pinot noir, Regent, Chardonnay, Zweigelt, Grauburgunder und Solaris. Heute erzeugt das Weingut Jaworek jährlich rund 40 000 Liter Wein, damit ist es international gesehen zwar ein Zwerg, in Polen aber gehört es mengenmäßig zu den drei größten.
Experimente mit Rebsorten pendelten sich auf die ein, die in kühleren Regionen eine realistische Chance haben. (Foto: Winnice Jaworek) Experimente mit Rebsorten pendelten sich auf die ein, die in kühleren Regionen eine realistische Chance haben. (Foto: Winnice Jaworek)
Typizität polnischer Weine
Seit gut einem Jahr ist Gniewko Drewnicki bei Jaworek der Kellermeister. Auch für den 35-Jährigen ging damit ein Traum in Erfüllung. Denn ursprünglich unterrichtete er Schüler in der englischen Sprache, schulte dann zum Braumeister um, bevor er sich ganz dem Wein verschrieb. Stolz führt er seine Gäste durch den Weinkeller. Die Roten, sagt er, reifen in Eichenfässern aus Frankreich und Deutschland heran. Das Besondere der Jaworek-Weine sei die zweite Fermentierung im Fass. „Die polnischen Weine sind aufgrund der klimatischen Bedingungen sehr herb. Die zweite Fermentierung, die über zwei bis drei Wochen bei 25 Grad Celsius erfolgt, macht die Weine im Geschmack milder“, erklärt er. Neben verschiedenen Rot-, Weiß- und Roséweinen gibt es im Weingut Jaworek auch eine ganz besondere polnische Spezialität: Trinkhonig, ein süffiger, süßer, aromatischer Honigwein, der bis zu acht Jahren im Fass reift, ehe er in Flaschen abgefüllt wird. Auf der Zunge ist er eine Offenbarung und der ideale Begleiter zu kräftigem Käse oder einem süßen Dessert.
Künftig soll die Produktpalette durch eine „knochentrockene“ Sekt-Cuvee, sowie eigene Brandys und Whiskey komplettiert werden. Die dafür notwendige Destillationsanlage von der Firma Ulrich Kothe Destillationstechnik aus Eislingen in Baden-Württemberg ist bereits gekauft und soll in diesem Jahr erstmals in Gang gesetzt werden.
Wenngleich die grundsoliden Weine von Eva und Lech Jaworek qualitativ die internationale Bühne noch nicht rocken können, optisch spielen sie auf jeden Fall in der Champions League mit. Denn jedes Etikett ist ein absoluter Hingucker und ein kleines Meisterwerk. Gestaltet hat sie der Wroclawer Maler und Kunstprofessor Eugeniusz Józefowski, ein langjähriger Freund der Weingutbesitzer. Für jeden Wein lässt er sich ein neues Motiv einfallen. Beim Anblick der Flaschen lässt man sich gern zum Kauf verführen, wenngleich die Weine im Verhältnis zu denen aus anderen Ländern nicht ganz preiswert sind: Zwischen 40 und 120 Zloty (9 bis 26 Euro) muss man für die Raritäten bezahlen. Einen Versuch sind sie aber auf jeden Fall wert. Verkauft werden die Rebensäfte in ausgewählten Läden und Restaurants in Polen, das meiste aber geht über den Tresen des eigenen Weinguts.

Weingut Jaworek – Ziel für Genießer jeglicher Couleur
Wer will, kann die Weine bei Verkostungen vor Ort im schmucken Gutsrestaurant testen. Das bietet neben den Gewächsen aus den Weingärten eine frische Küche, die sowohl auf regionale als auch auf internationale Gerichte setzt. Gut: Auf der Speisenkarte wird zu jedem Gericht der passende Wein empfohlen. Außerdem können Genießer jeglicher Couleur die Idylle des von den Besitzern liebevoll sanierten Landgutes aus dem 18. Jahrhundert auch länger genießen. 13 Zimmer und Appartements, jedes nach einer Rebsorte benannt und gemütlich eingerichtet, bieten den Gästen alles, was sie für eine genüssliche Auszeit brauchen. Gern wird das Weingut auch für Hochzeiten gebucht. Die Nähe zu Wroclaw und eine gute Bahnanbindung, machen das Weingut zu einem beliebten Ausflugsziel der Großstädter. In 20 Minuten Fahrzeit ist es bequem mit der Regionalbahn zu erreichen. Das Weingut ist auch eine Station auf der Niederschlesischen Wein- und Bierroute, die rund drei Dutzend Weingüter und kleine Brauereien um Breslau erfasst.

Polens Weinbautraditon
Auch wenn kaum jemand Weinanbau und Polen in einen Zusammenhang bringt, gibt es eine lange Tradition, die bis ins 13. Jahrhundert zurückreicht, als die Zisterziensermönche bei Zielona Gora (Grünberg) die ersten Reben pflanzten. In dieser Region wuchsen bis vor 200 Jahren noch Reben auf 1700 Hektar. In Grünberg, knapp 200 Kilometer von Berlin entfernt, wurde auch einst die erste deutsche Sektfabrik Grempler & Co. gegründet. 800 000 Flaschen „Sprudelwasser“ aus einheimischen Trauben traten ab 1826 von hier aus ihre Reise in alle Welt an. Bis 1945 – da war nicht nur Schluss mit dem Grünberger „Champagner“, sondern mit dem Weinanbau in Polen überhaupt. Ignoranz der neuen Machthaber und die Tatsache, dass Importe preiswerter waren als die Produktion im eigenen Land, brachten den Weinanbau zum Erliegen. Aus den Weinbergen wurden Gemüsegärten, Baugrundstücke und Obstplantagen. Erst in den 1990er Jahren wurden die ersten zwei Hektar neu bepflanzt, heute sind es landesweit wieder rund 620 Hektar. 2005 erkannte die EU Polen wieder als Weinland an. Die beliebtesten Rebsorten sind Riesling, Chardonnay, Gewürztraminer, Grauburgunder, Sylvaner, Seyval Blanc, Bianca, Musca, Regent und Rondo.
Viele Jahre lang war es den Winzern offiziell verboten, ihre Weine zu verkaufen. 2002 erarbeitete die Regierung ein nationales Weingesetz, das 2008 endlich verabschiedet wurde. Darin festgelegt ist die Pflicht, jede Flasche mit einer Steuerbanderole zu versehen, um die ordnungsgemäße Abwicklung und Herkunft zu garantieren. Ohne diese Banderole – die dem Winzer nur bei Einhaltung bestimmter Qualitätsvorschriften ausgehändigt wird – ist der Verkauf des Weins nicht erlaubt.
Inzwischen wird – auch durch den Klimawandel bedingt – in fast allen Regionen Polens Wein angebaut. Insgesamt teilen sich die erwähnten rund 620 Hektar circa 500 Weingüter, davon etwa 330, die haupt- oder nebenberuflich Weinbau betrieben. Die meisten Weingüter befinden sich in den südöstlichen Regionen Małopolska (Kleinpolen) und Podkarpackie (Vorkarpaten), die wenigsten im Nordosten (Pommern, Masuren, Podlasie). Von den Flächen liegt Lubuskie (Lebuser Land) rund um Zielona Góra (Grünberg) mit rund 140 Hektar an der Spitze, gefolgt von Dolnośląskie (Niederschlesien) mit gut 80 Hektar. Die flächenmäßig größten Weingüter sind die Weinbaugenossenschaft bei Zabor im Lebuser Land mit etwa 33 Hektar, gefolgt von dem Weingut Turnau südlich von Szczecin (Stettin) mit 28 und Srebrna Góra bei Kraków (Krakau) mit 26 Hektar. Das Weingut Jaworek liegt mit 18,5 Hektar auf Platz 4. Von den Mengen entfallen polenweit gut 60 Prozent auf weiße und der Rest auf rote Trauben. Bei den Sorten liegen Solaris und Regent vorn.