Nach dreißig Jahren kehrt Daniel Lambert seiner Wahlheimat den Rücken zu und wandert aus – das ist jedenfalls sein aktueller Plan. Was ist passiert? Seit 1992 hat Lambert sukzessive sein Weingeschäft in Großbritannien aufgebaut und gehört heute dort zu den Großen der Handelsbranche. Mit rund zwei Millionen Flaschen versorgt der Weinimporteur Fachgeschäfte und den LEH – rund 300 Einzelhändler einschließlich Supermärkte ordern regelmäßig seine aus der EU und aus Übersee importierten Weine. „Ich kann nicht anders als kapitulieren“, resümiert Lambert. „Alles ging gut bis der Brexit kam.“
Seit Jahresbeginn 2021 gilt der Brexit als vollzogen. Laut der britischen Regierung bedeutete dies ein Neubeginn für Großbritannien. Mit dem Austritt aus dem EU-Binnenmarkt und der Zollunion ist der Brexit jetzt knapp am Ende seines ersten Jahres angelangt. Premierminister Boris Johnson sprach im Januar 2021 von einem „großartigen Moment“. Schottlands Regierung zeigte sich damals wie heute weniger begeistert. Die Auswirkungen sind vielfältig. Hier reflektiere ich das Schicksal eines Betriebes, einem Weinhandel mit fünf Angestellten, der vom Brexit mit voller Wucht getroffen wurde.
Gute alte Zeiten
„Wir sind ein kleines, aber ziemlich gut organisiertes Unternehmen mit einem festen Kundenstamm“, sagt Lambert bescheiden, dessen Unternehmen mehrere Millionen an Umsatz schafft. „Obwohl wir wussten, dass der Brexit sowas wie ein Autounfall sein würde, wussten wir nicht, dass es eine mehrfache Ansammlung von Totalschäden im dichten Nebel mit Todesopfern geben würde“, vergleicht Lambert die wirtschaftliche Situation. „Es ist die Bürokratie, die uns das Rückgrat bricht. Das betrifft nicht nur den Weinhandel, sondern zieht sich durch alle Branchen, die von Importen aus der EU abhängig sind.“
So wie Lambert-Wines dachten viele Importeure, dass sie zum Beginn des Brexit vorbereitet wären. „Es war ein Trugschluss. Wie viele andere Unternehmen hatten wir uns für das schlimmste Szenario, eines No-Deal-Brexit, eingesgtellt. Doch die Bürokratie, die auf Geheiß der britischen Regierung die Vorschriften im Rahmen des Brexit durchsetzen muss, ist einfach nicht zu bewältigen.“
Schwierigkeiten, die es schon immer im britischen Weinhandel gab, betrafen vor dem Brexit nur die Importe aus Nicht-EU-Ländern. Damit hatte sich der Handel arrangiert. Bei Ihren Einfuhren wurden von den Importeuren Zollagenten engagiert, die sich speziell auf den bürokratischen Ablauf spezialisiert hatten. „Das lief rund“, sagt Lambert. Seit diesem Jahr kamen dann die neuen Bestimmungen bezüglich der Importe aus der EU dazu. „Noch und auch auf absehbare Zeit gibt es nicht genügend Agenten – weder in der Quantität noch in der Qualität der Kenntnisse, die nötig wären, die Bürokratie für EU-Importe zu bewältigen. Das es darüber hinaus wegen fehlender LKW-Fahrer auch noch Transportprobleme bei uns gibt, ist nur ein Randthema“, sagt Lambert.
CHIEF lässt den Import von EU-Weinen einbrechen
Dass es für die Weinimporte aus der EU Probleme geben würde, war Lambert klar. Daher entschied er früh, sich selbst darum zu kümmern. Aber da hatte er die Rechnung ohne „CHIEF“ gemacht. „CHIEF“ steht für „Customs Handling of Import and Export Freight“ und ist das britische IT-Zollsystem der Steuer- und Zollbehörde HMRC, das seit den 1980er Jahren die Importe regelt, seit dem 1. Januar 2020 auch für Importe aus der EU. Vor diesem Datum war der Warenverkehr aus der EU nicht in die „CHIEF“ integriert.
„Das CHIEF-System enthält rund 10.000 verschiedene Kombinationen an Fehlerquellen, je nachdem welche Art von Import sie durchführen, abhängig von der Warennummer selbst“, erläutert Lambert. „Sie müssen also die Kombination zwischen Warencode und CPV-Code genau abstimmen, also hier keinen Fehler machen, sonst wird die Deklaration nicht zugelassen und das System gibt kein grünes Licht“, so Lambert.
Nun ist die Kombination von Daten und ihren Abhängigkeiten nicht die einzige Falle, die CHIEF für Importe vorhält. Das in Lamberts Augen antiquierte und immer noch nicht auf die Importe vom Kontinent abgestimmte System ist derart vielfältig und kompliziert aufgebaut, dass nur darauf spezialisierte Agenten, geschweige den Mitarbeiter, abarbeiten können, aber „die gibt es längst noch nicht“, sagt Lambert. „Es gibt im Antrag ein Feld mit der Nummer 44. Hier wird das Ursprungsland definiert, was wiederum die jeweils nachfolgenden Angaben steuert. Direkt hier oder in den nachfolgend abhängigen Datenfeldern nur einen Fehler zu machen, heißt von vorne anzufangen“, erläutert Lambert. „Außerdem – wir als Weinimporteure müssen insgesamt 16 Anmeldungen und Nachweise für einen Import abliefern, um einen EU-Wein zu deklarieren.“
Britischer Weinimport und seine Hürden

Laut Lambert sind die nachfolgenden Stationen zu durchlaufen, um einen EU-Wein zu importieren:
- Für jede Weinbestellung (EAD) muss der Erzeuger für das Exportland Großbritannien ein EMCS-Formular erstellen, das es seinem Wein ermöglicht, durch die EU in einen Versandhafen zu gelangen.
- Der Wein muss auf speziellen ISPM 15-begasten Paletten zum Transport verpackt sein, die mehr kosten und schwerer zu beschaffen sind.
- Um den Wein aus der EU zu exportieren, benötigt der Erzeuger weiterhin eine EX1 (die nur von einem spezialisierten Makler für etwa 85 Euro hergestellt werden kann) und zusätzlich das EAD-Dokument des Herstellers in dem Land, aus dem der Wein stammt.
- Um den Wein nach Großbritannien zu bringen, müssen Importeure das CHIEF-System durchlaufen, das bisher nur für die Deklaration von Weinen aus Nicht-EU-Ländern verwendet wurde. Auch muss ein C88-Dokument vorgelegt werden – wenn der Importeur Wein mit aufgeschobener (Zahlungsaufschub) oder verzollter Einfuhr einführen möchte. Hierzu ist es sinnvoll, das C88-Dokument an den Erzeuger zu senden, von dem der Importeur den Wein beziehen will, damit dieser es in alle seine Papiere für den Hafen aufnehmen kann. Ein C88 erfordert allerdings auch, dass ein helfender Makler eine weitere Gebühr in Höhe von 60 bis 90 Euro aufruft.
- Wenn dann der Wein im Zollamt zum Import deklariert wird, benötigt der Importeur eine Warenverkehrsgarantie (die etwa 60 Euro kostet) und die auf einem britischen EMCS-Beförderungsdokument vermerkt sein muss. Alternativ kann der Importeur die Warenverkehrsgarantie einem Spediteur gegen Gebühr überlassen.
„In Summe bedeutet dies, dass für jede Weinlieferung seit dem Brexit mindestens 125 bis rund 180 Euro an zusätzlichen Zollgebühren anfallen“, rechnet Lambert vor. „Und wenn Sie es schaffen, alle Papiere in Ordnung zu bringen, dauert der Versand aus der EU derzeit im Regelfall mindestens sechs bis acht Wochen, manchmal auch bis zu 12 Wochen, also vier bis zu acht Wochen länger als zuvor. Und wenn die Weine dann die Insel erreichen, dann verteuern sie sich um 1,20 bis 2,30 Euro je nach Massen- oder Nischenwein.“
Und so kommt es, dass dem britischen Handel, sei es dem Einzelhandel wie auch den Supermärkten mittlerweile rund 30 bis 40 Prozent ihres üblichen Angebotes fehlen. Außerdem lagern zurzeit in einschlägigen EU-Häfen tausende von Paletten, deren Papiere nicht in Ordnung sind und für das kommende Weihnachtsgeschäft dem Inselhandel fehlen. Besonders vermissen werden die Briten bevorzugte Weine aus Frankreich – seit Jahrhunderten ihre Leidenschaft. Das Leiden haben nicht nur die Importeure, sondern vor allem die Konsumenten und die Erzeuger. Schon rechnen die Produzenten auf dem Festland damit, dass die britischen Importeure den Mut verlieren und sich auf Weine anderer Kontinente konzentrieren.
Die Resignation eines Weinhändlers
So hatte sich Lambert den Brexit nicht vorgestellt. „Meine Branche hatte eigentlich die Hoffnung, dass der Brexit zwar einen bürokratischen Mehraufwand bedeuten würde, aber das er uns ruinieren würde, das hatten wir nicht auf dem Schirm“, sagt Lambert. „Zu dem unsäglichen Procedere der Zollabwicklung kommen noch die Verzögerungen der Lieferungen, angefangen in der EU selbst, im Zollbereich und der Zustellung der Weine zu den Kunden. Dies kann durchaus zwei bis drei Monate Zeit in Anspruch nehmen – wie soll das gehen?“.
Sein Erfolg, den er seit 1992 hat, basiert auf seiner Fähigkeit, einen ständigen Strom spannender, unterschiedlicher Weine von Produzenten zu suchen und zu importieren, die das wachsende Netzwerk von spezialisierten unabhängigen Weinhändlern ansprechen. „Dass die britische Regierung es schafft, das Procedere der Importe zukünftig zu vereinfachen, glaube ich nicht“, sagt Lambert, dessen Geschäft aber gerade davon abhängig ist.
„Ich sehe keinen Weg mehr, in Großbritannien Geschäfte zu machen. Wegen der Art und Weise wie der Brexit Deal ausgehandelt wurde, werden für mich und Hundert andere das Wirtschaften weit über Gebühr erschwert“, sagt Lambert. „Ich bin wütend, sauer, frustriert und ängstlich. Je mehr ich mit dem Brexit und seinen Rätseln zu tun habe, umso wütender werde ich. Dazu kommt, dass der Weinhandel viel zu passiv das Geschehen auf sich nimmt. Kleinere Händler trauen sich nicht zu protestieren. Es braucht die großen Jungs der Branche, die aufstehen und mit der Regierung Tacheles reden, aber bisher tut sich nichts“, resümiert Lambert.
Lamberts Vater ist Franzose, beheimatet in Bordeaux, und so hat er auch die französische Staatsbürgerschaft. Sein nächstes Ziel ist daher Frankreich, wo er neu anfangen will.