NEWSDer rarste Wein und ein alter Freund

Der rarste Wein und ein alter Freund

Als Weinjournalist lernt man viele interessante Winzer kennen. Eine Besonderheit in dieser Galerie ist der unverwüstliche Georg Stieglmar aus Gols (Burgenland), über den es viel zu erzählen gibt…


ÖSTERREICH (Gols) – Seewinkel heißt das Gebiet im Osten des Neusiedlersee im österreichischen Burgenland. Heute sind hier eine Menge innovativer Winzer Zuhause. Vor gut 40 Jahren, als im großen Weinbauort Gols ein dynamischer Weinbauer vorankommen wollte, musste es etwas Besonderes sein, um sich in einem Umfeld mit Erzeugern von meist süßen, oft aber belanglosen Weinen bemerkbar zu machen. Die Eingebung kam beim Durchblättern eines dicken kulinarischen Ratgebers aus dem frühen 19. Jahrhunderts, dem zu entnehmen war, wie „einige vornehmere Arten“ in der ungarischen Region Tokaj entstehen. Darunter befand sich auch die Beschreibung für die Eszencia, ein Süßwein, bei dem nur der Saft verwendet wird, der aus der Maische von selbst abfließt. Das Ergebnis ist ein enormes Konzentrat, meist nur mit sehr, sehr wenig Alkohol. Derartige Gewächse waren und sind in Ungarn immer besondere Spezialitäten.

„Warum soll ich nicht auch so etwas erzeugen“, dachte sich Georg Stieglmar und machte im Jahrgang 1979 erstmals einen solchen Wein vom Zweigelt. Der wurde auch in Deutschland zur Kenntnis genommen und mit der Überschrift „Der rarste Wein“ ins „Weinbuch der Rekorde“ aufgenommen. Denn von diesem konzentrierten Tropfen flossen nur 80 Liter von der Kelter ab. Durch das allererste Weinbuch des Schreibers dieser Zeilen kam es zum Kennenlernen mit dem pfiffigen Winzer, der einen Besuch gleich zur großen Presseschau werden ließ und sich hinterher über zahlreiche Berichte freuen konnte.

Der Blaufränker

Kürzlich wurde das 40-Jährige begangen und dabei gleich ein runder Geburtstag nachgefeiert. Der 80. von Georg in 2020 wurde gewissermaßen Corona geopfert. Es gab einiges zu erinnern und zu verkosten. Stieglmar übergab die Verantwortung für seinen Betrieb schon vor über 20 Jahren an seinen tüchtigen Sohn Axel. Aber er wollte nochmal beweisen, dass er ein richtig guter Winzer war und demonstrierte dies mit seinem letzten Wein, einem taufrisch anmutenden 1999er Gewürztraminer, einem komplex gebliebenen 1991er Chardonnay und einer 1993er Cuvée Georg aus Pinot Noir und St. Laurent – zwei Sorten, bei denen er sich bei Berufskollegen unbeliebt machte. Denn viele hatten ihm geraten, den gebietstypischen Blaufränkisch anzubauen. So wurde er, wenn auf Präsentationen der Blaufränker dran war, ignoriert…

Georg Stieglmar und Rudolf Knoll
Große Presse für das „Weinbuch der Rekorde“ von (im Bild links) Autor Rudolf Knoll, In der Mitte bzw. rechts Georg Stieglmar. (Foto: Weingut Stieglmar)

1979er Eszencia

Klar doch, dass die 1979er Eszencia im Probenreigen nicht fehlte. Von den einst gefüllten 160 kleinen Flaschen, deren Inhalt nur mühsam in die Gärung kam, ist noch ein kleiner Vorrat vorhanden. Gesprochen wurde auch über den weiteren Werdegang von Freund Stieglmar, der sich mal an einen knochentrockenen Wein mit 11,5 Promille Säure wagte und das Produkt als „Wein für harte Männer“ bezeichnete. Sein schwierigstes Jahr war 1985, als der Glykol-Skandal hochkochte und er schriftlich beschimpft und in Deutschland von Händlern als Lieferant gestrichen wurde, weil ein Golser Namensvetter einen Weltrekord aufgestellt hatte: mehr als 60 g/l Glykol im Liter Wein. Den Glykol-Listen, die in Deutschland kursierten, war nicht zu entnehmen, welcher Stieglmar sich damals offenbar radikal beim Panschen verrechnet hatte. Denn die meisten Glykol-Wein enthielten allenfalls wenige Gramm oder unter einem Gramm des unerlaubten Zusatzes.

Die Lehre aus Glykol führte später zu einer Namensänderung des Weingutes in Juris. Georg überstand die kritische Phase durch seine konsequente Qualitätspolitik und konnte 15 Jahre später einen florierenden Betrieb an Junior Axel übergeben. Aber bis vor wenigen Jahren machte er nebenbei als Weinbauer weiter und bewirtschaftete in Ungarn einen Weingarten. Doch inzwischen hat er sich zum Ruhestand durchgerungen – vermutlich ziemlich ungern.

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