Champagner mit wenig bis gar keinem Zuckerzusatz herzustellen ist knifflig. Das Champagnerhaus Billecart-Salmon geht einen neuen Weg, ändert die Rezeptur und zeigt damit, dass auf Zucker in der Dosage verzichtet werden kann.
FRANKREICH (Mareuil-Sur-Ay) – In Zeiten der Corona-Pandemie haben es Neuigkeiten aus der Getränkebranche schwer, in die Ränge von Top-Nachrichten zu gelangen. Bei all dem, was im vergangenem Jahr passiert ist, ist die Nachricht, dass Billecart-Salmon seine erste Brut-Nature-Cuvée herausgebracht hat, keine Top-Story geworden, nicht mal in der Weinszene. Aber diese Art der Herstellung von Champagner sollte bei Weinliebhabern dieses edlen Pricklers doch für Aufmerksamkeit sorgen. Es könnte sein, dass die Rezeptur von Billecart-Salmon wegweisend sein könnte, wie wir in Zukunft eine andere Art von Schaumwein genießen werden. Und daher schauen wir mal etwas genauer hin.
In unserer Vorstellung ist Champagner fest verankert als Wein des Luxus und der Frivolität. Schon in der Belle Epoque in der Wende um das 19. zum 20. Jahrhundert, angepriesen auf Plakaten in der Seine-Metropole, war der Schäumer das Lieblingsgetränk der Les Belles Femmes de Paris, die mit schwingenden nackten Knöcheln ihre prickelnden Coupes im Takt hoben, um das gute Leben zu symbolisieren. Dieses Image hält sich hartnäckig, weil es sich die Champagne zu Eigen gemach hat und die hochgehaltenen Preise dies unterstützen. Und so hat sich der Champagner über die Zeit kaum weiterentwickelt, warum auch? Es gab für Veränderungen keinen Anlass.
Wenn sich aber Champagner verändert, dann im Zeitlupentempo und auch von außen gesteuert. Die Weinregion änderte ihre Rezeptur bisher nur als Reaktion auf die Märkte. Und diese Veränderungen finden meist lediglich am Rande statt. Eine solche marktgetriebene Veränderung ist eine Nische namens „Brut Nature“, genauer gesagt, nicht dosierte Weine. Es ist bemerkenswert, dass ein traditionelles Haus wie Billecart-Salmon diese im gesamten Prozess aufwendige Methode aufgreift.
Vom Grundwein zu den Bläschen
Schauen wir uns mal den Herstellungsprozess an. Das wohl älteste, anspruchsvollste und edelste Verfahren zur Herstellung von Schaumwein ist die klassische Champagner-Methode (Méthode Champenoise, Méthode Classique). Schaumweine wie Champagner erhalten ihre Bläschen durch eine zweite Gärung in der Flasche. Der Grundwein, der bereits seine alkoholische Gärung hinter sich hat, wird in Flaschen abgefüllt und auf Hefeböden kopfunter gelagert. Die Hefe gärt in der Flasche und ist letztlich für die Bläschen im Glas verantwortlich. Je länger ein Wein auf seinen Hefen reift, desto komplexer wird er. Champagner reift typischerweise zwei bis drei Jahre oder länger. „Zeit ist wertvoll, Zeit ist Geld“, heißt das Credo in der Champagne.
Im nächsten Prozess wird der Trub durch ständiges Rütteln langsam nach oben zum Flaschenhals bewegt. Dann kommt der Zeitpunkt des Degorgierens, der Hefetrub wird entsorgt und das fehlende Volumen mit einer Dosage aus gealtertem Reservewein mit etwas Zuckerzusatz aufgefüllt. Der Anteil des Zuckers bestimmt, ob der Wein als Ultra Brut: extrem trocken, 0 bis 3g/Liter Restzucker, Extra Brut: extra trocken, bis 6 g/Liter Restzucker, Brut: trocken, bis 15 g/Liter Restzucker und Extra Sec oder Extra Dry: halbtrocken, 12 bis 20 g/Liter Restzucker, Demi Sec: halbtrocken, 35 bis 50 g/Liter Restzucker oder Doux: süß, mehr als 50 g/Liter Restzucker (sehr selten) bezeichnet wird. In allen Fällen wird die Dosage von den Champagnerherstellern sorgfältig kalibriert, um einen einheitlichen Hausstil zu schaffen und den rohen Charakter des Weins auszugleichen.
Druck des Marktes
Der Markttrend hin zu natürlichen Weinen hat in diesem Jahrhundert stark zugenommen. Spontan vergorene Weine sind schon ein alter Hut, Experimente mit Orangen-Weinen werden von einem Teil der Szene gehypt, die Spätlese in Deutschland hat einen Großteil ihrer Reputation am Markt verloren, die Lagenklassifikation des VDP schwingt über und wird von immer mehr Herstellern übernommen. Diese Veränderungen, andere weltweit mit einbezogen, wirken in Summe auch als Druck auf die Champagne. Den Champagnerhäusern wie auch den Schaumweinproduzenten von Cava oder Franciacorta bleibt dabei nur eine Möglichkeit, die Weinherstellung zu optimieren und das ist die Dosage. Die Reduzierung des zugesetzten Zuckers kann einen Brut zu einem Extra Brut oder sogar Brut Nature machen. Diese Schaumweine betitelt man oftmals als „non-dosage“ oder „zero dosage“. Bezieht man die allgemiene Angst vor und den Willen auf Verzicht von Zucker unserer Gesellschaft bei Nahrungs- und Genussmitteln mit ein, dann werden diese Art von Pricklern viel zu zaghaft in der Weinszene kommuniziert.
Die „Billecart-Salmon-Methode“
Wir wissen also jetzt, dass Zucker in der Dosage die jeweilige Geschmacksrichtung beeinflusst. Unabhängig des Geschmacks des einzelnen Weintrinkers, also egal, ob der Konsument sich als Extra Brut-, Brut oder Extra Sec-Liebhaber outet, bleibt die allgemeine Angst unserer Gesellschaft vor Zucker. Aber wenn man nur einfach den Zucker in der Dosage weglässt, bleibt als Ergebnis ein unausgewogener, magerer und säurehaltiger Schaumwein übrig. Es gehört also mehr dazu, als bei der Dosage auf Zucker zu verzichten.
Die Produktion eines Brut Natur ohne Dosage bedeutet also nicht, dass man einen Grundwein nimmt, der eine zweite Gärung auf der Hefe erfährt und beim Degorgieren auf Zucker verzichtet. Wenn man dennoch den Zucker in der Dosage weglässt und damit es funktioniert, muss man schon im Weinberg beginnen und nicht erst beim Degorgieren eingreifen. Und diesen Weg ist Billecart-Salmon bei der Entwicklung seiner neuen Cuvée Brut Nature gegangen. „Es ist einfach, einen Wein mit geringer oder gar keiner Dosage auf den Markt zu bringen, wenn man nur auf einen Marketing-Gag aus ist“, erläutert Mathieu Roland-Billecart, Geschäftsführer des in siebter Generation geführten Champagnerhauses. „Wir erwarten mehr von uns selbst, also haben wir uns Zeit genommen, um es richtig zu machen.“
Billecart-Salmon Brut Nature
Der Billecart-Salmon Brut Nature ist ein Blend aus zehn Jahrgängen. Alle Grundweine durften 48 Monate auf der Hefe reifen. Der Verschnitt und die Reifung für den Brut Nature geben dem Schaumwein zusätzliche Tiefe und Charakter, so dass er ohne Zuckerzusatz in der Dosage für sich alleine stehen kann. „Das Ergebnis ist ein Brut Nature, der die Reinheit der Frucht bewahrt und frisch bleibt, ohne eine zu prägende Säure zu haben, die oftmals junge Weine ohne Dosage zeigen“, erklärt Roland-Billecart. „Wenn man das Beste erreichen will, kann man nicht mit der Zeit schummeln, man muss sich diese konsequent nehmen.“
Der Billecart-Salmon Brut Nature ist reich an Aromen, er verkostet sich cremig, nicht schreiend vor Säure, sondern einladend mit Aromen von weißem Pfirsich und Limette. Er ist sehr gut balanciert, ist er köstlich für sich alleine, ist aber auch ein schöner Begleiter zu feinen, minimalistischen Speisen Asiens.